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Pressekonferenz der AK am 28. Juli 2006

Neue Wege für den Arbeitsmarkt - Lösungsvorschläge auf Basis eines Ländervergleichs


Österreichs Arbeitsmarkt befindet sich seit Jahren in einer schweren Krise. Die Zahl der Arbeit Suchenden hat sich bei allen Altersgruppen massiv erhöht, Frauen sind von der Verschlechterung ebenso betroffen wie Männer und die Beschäftigtenentwicklung ist sogar rückläufig, wenn das Aufteilen von Ganztagsarbeitsplätzen in Teilzeitangebote berücksichtigt wird. Gleichzeitig verheißen die mittelfristigen Arbeitsmarktprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute keine Entwarnung. Die Wirtschaft in Österreich wird bis 2010 nur um 2,1 bis 2,2 Prozent wachsen, die Arbeitslosigkeit wird daher laut letzter Mittelfristprognose von Synthesis und WIFO bis 2009 bzw 2010 weiter steigen, nur laut IHS wird sie geringfügig sinken. Verschärft wird die Situation noch um ein weiterhin steigendes Arbeitskräfteangebot und um den weiterlaufenden Strukturwandel, der die ArbeitnehmerInnen in Österreich unter Druck setzt. Gleichzeitig ist der österreichische Arbeitsmarkt noch nicht auf die durch die Anhebung des Pensionsantrittsalters eingeleiteten gravierenden Veränderungen bei den Beschäftigten vorbereitet: die in den nächsten Jahren in zunehmendem Maße noch auf dem Arbeitsmarkt stehenden älteren ArbeitnehmerInnen müssen auch faktisch die Chance erhalten, eine Beschäftigung zu finden und ausüben zu können. Arbeitsplatzangebote und Arbeitsorganisation der Betriebe sind derzeit darauf aber nicht ausreichend vorbereitet. Ein kurzfristiger Rückgang der Arbeitslosenzahlen gegenüber dem Vorjahr bringt in dieser Situation daher keine Entspannung, solange das Niveau der Arbeitslosigkeit um über 35 Prozent (Zahl aller Arbeit Suchenden inklusive SchulungsteilnehmerInnen im Jahresdurchschnitt 2005) und sogar um über 70 Prozent bei den Arbeit Suchenden bis 24 Jahre (Jahresdurchschnitt 2005) über dem Wert des Jahres 2000 liegt. Eine tatsächliche Trendwende ist daher auf Jahre hinaus nicht in Sicht, wenn nicht bald ernsthafte Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Eine Vergleichsstudie der AK Wien/NÖ/OÖ über die Arbeitsmarkttrends in Dänemark (DK), Schweden (S), Niederlande (NL), Vereinigtes Königreich (UK), Deutschland (D) und Österreich (A) zeigt: Österreich fällt in allen wichtigen Belangen der Arbeitsmarktentwicklung weiter zurück, verzeichnet weiterhin steigende Arbeitslosigkeit und eine sinkende Beschäftigungsquote (Vollzeitäquivalente). Die AK fordert daher eine soziale Grundsatzreform der Arbeitsmarktpolitik nach nordischem Muster mit mehr dauerhaften Vermittlungserfolg statt Förderung von Billigjobs, Lohndruck und steigender Armut bei Arbeitslosen.

Die Ergebnisse im Überblick

Dänemark und UK halbieren Arbeitslosigkeit, deutliche Reduktion der Arbeitslosigkeit in allen anderen Vergleichsländern; nur Österreich und Deutschland haben ungebrochenen Trend zu weiter steigender Arbeitslosigkeit

Österreich hat zwar mit 5,2 Prozent (2005) eine relativ niedrige Arbeitslosenquote (EU-15 Durchschnitt 2005: 7,9 Prozent),ist jedoch gemeinsam mit Deutschland das einzige Land, in dem sich die Arbeitsmarktlage deutlich verschlechtert hat. Während die Arbeitslosenquote in Österreich von 4,0 Prozent (1993) auf 5,2 Prozent (2005) angestiegen ist, konnte die Arbeitslosigkeit in DK und in UK zwischen 1993 und 2005 halbiert werden: in UK wurde sie von 10,0 Prozent (1993) auf 4,7 Prozent (2005), in DK von 9,6 Prozent (1993) auf 4,8 Prozent (2005) gesenkt. In den NL wurde sie immerhin von 6,2 Prozent auf knapp unter fünf Prozent reduziert.

Die Entwicklung in Österreich ist nicht bruchlos verlaufen: zwischen 1998 und 2000 war auch in Österreich noch ein Rückgang der Arbeitslosigkeit von 4,5 Prozent (1998) auf 3,6 Prozent (2000) zu verzeichnen. Nach einem Stillstand 2001 (3,6 Prozent) kam es in Österreich bis 2005 zu einem steilen Anstieg auf 5,2 Prozent.

Rückgang der Beschäftigungsquote (Vollzeitäquivalente) nur in Österreich und Deutschland, echtes Beschäftigungswachstum in allen anderen Vergleichsländern

Auch bei den Beschäftigtenzahlen sind nur in Österreich und Deutschland Verschlechterungen zu registrieren: während die Beschäftigungsquoten in allen anderen Ländern bei 71,7 bis 75,9 Prozent liegen und um +1,0 Prozentpunkte bis + 9,6 Prozentpunkte angestiegen sind, fallen Österreich mit 68,6 und Deutschland mit 65,4 Prozent stark dagegen ab. Mit einer Steigerung von nur 0,1 Prozentpunkte (Österreich) bzw 0,3 Prozentpunkte (Deutschland) ist auch keine relevante positive Tendenz zu verzeichnen.

Teilzeit statt Vollzeit in Österreich und Deutschland nicht Existenz sichernd

Umgerechnet auf Vollzeitarbeit ist die Beschäftigung in Österreich und Deutschland sogar gesunken: um minus 4,2 Prozentpunkte (Österreich 1995-2004) bzw um minus 3,1 Prozentpunkte (Deutschland 1995 bis 2004). In allen anderen Vergleichsländern ist die Beschäftigungsquote auch in Vollzeitäquivalenten gestiegen (um +1,8 Prozentpunkte bis 5,1 Prozentpunkte von 1995 bis 2004). Während die anderen Länder also ein echtes Beschäftigungswachstum zu verzeichnen haben, ist in Österreich und Deutschland neue Beschäftigung nur in Form von Teilzeitarbeit bei gleichzeitigem Verlust von Vollzeitarbeitsstellen entstanden.

Aber auch die Struktur dieser Teilzeitarbeit unterscheidet sich in Österreich gegenüber Schweden und den Niederlanden zum Nachteil der Betroffenen: während Teilzeitarbeit in Österreich häufig existenzielle Sorgen, beruflichen Abstieg oder zumindest berufliche Stagnation bedeuten, steht sie in Schweden und in den Niederlanden sozial und wirtschaftlich auf deutlich soliderem Grund. Während der überwiegende Teil der Teilzeitarbeit in Österreich ein Stundenausmaß von höchstens 20 Wochenstunden umfasst, sind das in Skandinavien und in den Niederlanden rund 30 Wochenstunden.

Welche Wege führen zum Erfolg?

+ Umfassende berufliche Weiterbildung der Beschäftigten durch die Betriebe selbst sichert die Anpassungsfähigkeit an den Strukturwandel

+ Maßnahmen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit ermöglichen eine hohe Erwerbsquote auch der älteren ArbeitnehmerInnen

+ hohe Ersatzraten beim Arbeitslosengeld vermeiden Armut und verhindern Angstsparen wegen Arbeitslosigkeit (Konjunkturbremse)

+ ein flächendeckend eingeführtes Case-Management bietet umfassende Beratung Arbeit Suchender und individuelle Vermittlungsunterstützung

+ eine ausreichend dotierte aktive Arbeitsmarktpolitik sichert den Handlungsspielraum zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und bietet Hilfe für Arbeitslose, Betriebe und Beschäftigte

+ und: Länder mit spürbar steigenden Reallöhnen haben eine stark steigende Binnennachfrage zu verzeichnen und konnten die Arbeitslosigkeit massiv reduzieren, zum Teil sogar halbieren. Die beiden Länder mit rückläufigen (Deutschland) oder nur gering steigenden Reallöhnen (Österreich) hatten eine deutlich geringer steigende Binnennachfrage, mussten gleichzeitig aber einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit hinnehmen.

Laufende berufliche Weiterbildung als Erfolgsweg in Skandinavien und UK:

Vor allem Dänemark und Schweden investieren mit Erfolg langfristig in die Weiterbildung von Beschäftigten und Arbeit Suchenden. Großbritannien investiert verstärkt in die Weiterbildung Beschäftigter. Der Anteil der Beschäftigten in betrieblicher Weiterbildung ist in Schweden mit über 60 Prozent und in Dänemark mit 53 Prozent doppelt so hoch bzw beinahe doppelt so hoch wie in Österreich mit nur rd 30 Prozent.

Auch das Ausmaß der Weiterbildung ist in diesen Ländern deutlich größer als in Österreich: Während in Dänemark 14 und in Schweden 12 Weiterbildungsstunden pro 1000 Arbeitsstunden auf einen Beschäftigten entfallen, sind es in Österreich nur fünf. Das Vereinigte Königreich wiederum wird allein in den nächsten Jahren zusätzlich zu den bereits laufenden Programmen der Arbeitsmarktpolitik über zwei Millionen Beschäftigte in Weiterbildungsmaßnahmen aufnehmen, um vor allem bei technischen und mittleren Qualifikationen das Know how auszuweiten.

Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit – massiver Nachholbedarf in Österreich

Vor allem Schweden sichert durch eine Reihe von Maßnahmen gezielt die Beschäftigungsfähigkeit älterer und gesundheitlich gefährdeter oder bereits beeinträchtigter ArbeitnehmerInnen, um eine Beschäftigung bis zum höheren Pensionsantrittsalter auch in der Praxis zu ermöglichen. Die hohe Beschäftigungsquote Älterer (55-64 Jahre) in Schweden (69,4 Prozent im Jahr 2005) zeigt den Erfolg. Österreich fällt demgegenüber mit einer Beschäftigungsquote von 31,8 Prozent (2005) bei den älteren ArbeitnehmerInnen stark ab. Das große Defizit an Maßnahmen zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit älterer ArbeitnehmerInnen in Österreich zeigt sich auch darin, dass hier rd 37 Prozent aller Arbeiter und Angestellten wegen gesundheitlicher Probleme die Pension antreten. Bei den männlichen Arbeitern sind es sogar rund 57 Prozent.

Hohe Ersatzraten beim Arbeitslosengeld vermeiden Armut und verhindern Angstsparen – Österreich und UK sind Schlusslicht

In Dänemark, Schweden und in den Niederlanden sichern hohe Ersatzraten des Arbeitslosengeldes die Existenz während der Arbeitslosigkeit (79 bis 84 Prozent Nettoersatzrate bei NiedriglohnbezieherInnen gegenüber 55 Prozent in Österreich) und bekämpfen damit nicht nur wirksam Armut sondern bremsen auch konjunkturelle Einbrüche, während in Deutschland und Österreich Beschäftigte aus Angst vor Arbeitslosigkeit nicht konsumieren und Arbeitslose wegen des niedrigen Arbeitslosengeldes nicht kaufkräftig genug sind, um zu konsumieren.

Umfassende Beratung und individuelle Vermittlungsunterstützung – in Österreich fehlen dazu die Mittel

Ein umfassendes Case-Management stellt sicher, dass die Arbeitsuche durch individuelle kompetente Beratung und Begleitung des Wiedereingliederungsprozesses möglichst rasch beendet wird, wobei va in Schweden und in den Niederlanden ein besonderer Schwerpunkt auf KundInnenzufriedenheit bei dieser Betreuung gelegt wird. Auch im Vereinigten Königreich wird erfolgreich in ein umfassendes Case-Management investiert, das eine individuelle und gezielte Betreuung Arbeit Suchender ermöglicht. Das Vereinigte Königreich gibt am wenigsten von allen Vergleichsländern für andere Formen der aktiven Arbeitsmarktpolitik aus (weniger als 0,2 Prozent des BIP gegenüber 1,5 in Dänemark), kompensiert dies aber durch den im Rahmen des „New Deal“ massiv gesteigerten Aufwand bei der individuellen Vermttlungsunterstützung. Österreich, das am zweit wenigsten von allen Vergleichsländern für aktive Arbeitsmarktpolitik aufwendet, verfügt aber auch nicht kompensatorisch über ein individuelles Case-Management. Für ein solches Instrument fehlen in Österreich dem AMS die erforderlichen Ressourcen.

Ausreichend dotierte aktive Arbeitsmarktpolitik sichert Handlungsspielräume

Insgesamt wenden Dänemark, Niederlande und Schweden mit 1,5, 1,1 und 1,0 Prozent des BIP deutlich mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik auf als Österreich mit nur 0,4 Prozent des BIP . In diesen Ländern ist daher auch der Spielraum für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und langfristige Planungssicherheit für die Arbeitsverwaltungen gewährleistet. In Österreich ist der Aufwand für aktive Arbeitsmarktpolitik niedrig und die Planungssicherheit gering. Das aktuelle Regierungssonderprogramm für aktive Arbeitsmarktpolitik läuft zB nach 2006 aus.

Deutliche Reallohnsteigerungen begünstigen Binnennachfrage

Auffallend ist ferner, dass alle Länder mit positiven Arbeitsmarkttrends auch eine deutlich steigende Reallohnentwicklung zu verzeichnen haben. Nur in Österreich und Deutschland stagniert diese bzw ist sie sogar rückläufig (Deutschland). Während die Reallöhne in Schweden und UK zwischen 1995 und 2005 um nahzu 29 Prozent gestiegen sind, in Dänemark und in den Niederlanden immer noch um 17 bzw um 11 Prozent, so sind sie in Österreich nur um weniger als drei Prozent gestiegen und in Deutschland sogar um 1,6 Prozent gesunken. In beiden Ländern lässt gleichzeitig auch die Inlandsnachfrage als Arbeitsmarktmotor aus. Die Binnennachfrage in Deutschland ist im Vergleichszeitraum um nur 8,1, in Österreich um 16,8 Prozent, in den anderen Vergleichsländern jedoch um 22,1 bis 38,5 Prozent gestiegen. Eine starke Inlandsnachfrage ist für das Schaffen zusätzlicher Arbeitsplätze im Inland offenbar wesentlich wirksamer als Exporterfolge, auf die auch Österreich und Deutschland verweisen können.

Die AK fordert den konsequenten Umstieg auf einen sozial ausgewogenen Erfolgspfad in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik.

Umgesetzt werden kann diese Grundsatzreform durch drei nachhaltig angelegte Strategieansätze:
+ Um- und Ausbau des Systems der beruflichen Weiterbildung (mehr Chancengleichheit und Steigerung des Ausbildungsniveaus und damit Verbesserung des Standorts Österreich).

+ Schaffung flächendeckender Modelle zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit (Anhebung des faktischen Pensionsalters statt vorzeitigem gesundheitlichen Verschleiß der ArbeitnehmerInnen und deren Absturz in Arbeitslosigkeit).

+ Reform der Arbeitsvermittlung und Ausbau der sozialen Sicherheit während der Arbeitsuche (nachhaltige Wiedereingliederung und weiterer Ausbau der KundInnenorientierung des AMS statt Kurzzeitjobs im Niedriglohnsektor, sowie Verhindern von Armut und Angstsparen wegen Arbeitslosigkeit).

+ Ausreichende Dotierung und mehrjährige Planungssicherheit für die Arbeitsmarktpolitik.

Die AK wird in den kommenden Wochen konkrete Reformmodelle zu diesen Strategieansätzen vorstellen.

Aufbauen muss diese Grundsatzreform der Arbeitsmarktpolitik auf einer das Wachstum sinnvoll unterstützenden Wirtschafts- und Steuerpolitik. Steigende Reallöhne und öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit, Forschung und Entwicklung sowie Infrastruktur erhöhen die Binnennachfrage. Dadurch können nachhaltig Arbeitsplätze geschaffen und Arbeitslosigkeit gesenkt werden.

Josef Wallner, Leiter Abt. Arbeitsmarkt Ak-Wien
Marc Pointecker, wirtschaftspolitischer Referent AK-NÖ

31.07.2006

 
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